Am 01. Januar 2025 hat Netflix gleich zwei beeindruckende Werke veröffentlicht, die das Vermächtnis von Avicii, einem der prägendsten Künstler der elektronischen Musik, ehren. Die Dokumentation „Avicii: Ich heiße Tim“ (2025) (im Original: „Avicii: I Am Tim“) und der Konzertmitschnitt „Avicii: Mein Letztes Konzert“ (2025) (im Original: „Avicii: My Last Show“) werfen einen Blick auf das Leben und die Karriere des schwedischen Produzenten Tim Bergling. Beide Filme sind ab sofort exklusiv auf Netflix verfügbar. Doch wie gut werden sie ihrem Anspruch gerecht – und was können DJs und Musikliebhaber daraus mitnehmen? Ein kritisches Review aus meiner Sicht als Event-DJ und großer Avicii-Fan.
„Avicii: Ich heiße Tim“ (2025) – Eine bewegende, aber geschönte Dokumentation
Die Dokumentation „Avicii: Ich heiße Tim“ bietet intime Einblicke in das Leben und die Karriere von Tim Bergling. Dabei setzt der Film auf bisher unveröffentlichtes Material und Archivaufnahmen, die Tims künstlerische Genialität und seine Suche nach innerem Frieden beleuchten. Doch obwohl die Doku emotional berührt, bleibt sie im Vergleich zu ihrem Vorgänger „Avicii: True Stories“ (2017) meiner Meinung nach hinter den Erwartungen zurück.
Ein idealisiertes Porträt
In „True Stories“ (2017) wurden Tims gesundheitliche und psychische Probleme ungeschönt dargestellt, mit schockierenden Aufnahmen aus Krankenhäusern und Interviews, die seine Überforderung verdeutlichten. Diese schonungslose Ehrlichkeit fehlt in der neuen Dokumentation. Stattdessen wird meiner Ansicht nach der Fokus stärker auf Tims musikalische Erfolge und seine positive Seite gelegt.
Die dunkleren Kapitel seines Lebens – von Suchtproblemen bis hin zu seiner mentalen Belastung – werden zwar angesprochen, jedoch meiner Meinung nach oberflächlich. Dadurch verliert der Film an Tiefe und Authentizität, die gerade für Fans entscheidend wären, um die Herausforderungen eines derart intensiven Künstlerlebens besser zu verstehen.
„Mein Letztes Konzert“ (2025) – Ein enttäuschend bearbeiteter Mitschnitt
Der Konzertmitschnitt „Avicii: Mein Letztes Konzert“ zeigt Aviciis letzten Auftritt im legendären Ushuaïa auf Ibiza im August 2016. Erwartet wurde ein authentischer und vollständiger Mitschnitt dieses historischen Moments. Doch leider wurde das Material massiv bearbeitet: Strophen fehlen, Songs wurden gekürzt, viele Tracks fehlen sogar komplett, und der Film wird ständig durch Interviewschnipsel unterbrochen.
Diese ständigen Unterbrechungen durch Interviewsequenzen reißen meiner Meinung nach den Fluss des Konzerts völlig auseinander und zerstören die Möglichkeit, das Konzert als Ganzes zu erleben. Es entsteht das Gefühl, dass man ein fragmentiertes Werk sieht, statt einen konsistenten Mitschnitt.
Schlechte Audioqualität und gestückelt
Hinzu kommt, dass die Audioqualität des Konzerts größtenteils leider sehr schlecht ist und enttäuscht. Die Tonmischung wirkt unausgewogen, teilweise sogar amateurhaft, und vermittelt nicht die Atmosphäre eines professionellen Konzertfilms. Gerade bei einem Künstler wie Avicii, dessen Musik von klaren und präzisen Klängen lebt, fällt dieser Qualitätsmangel besonders negativ auf.
Darüber hinaus wirkt der gesamte Film hektisch und mutmaßlich wild zusammengestückelt. Es fehlt an einer fließenden Dramaturgie, die das Konzert als zusammenhängendes Erlebnis präsentieren könnte. Stattdessen entsteht meiner Ansicht nach der Eindruck, dass einzelne Abschnitte willkürlich aneinandergereiht wurden, was die Magie und Energie des letzten Auftritts spürbar reduziert.
Am Ende bleibt der Eindruck, dass man bei der Bearbeitung des Konzerts nur das Mindeste an Arbeit investiert hat. Es fehlt, meiner Meinung nach, an großer Mühe und Liebe zum Detail, die nötig gewesen wären, um diesem letzten besonderen Auftritt von Avicii gerecht zu werden. Diese mangelnde Sorgfalt ist für Fans, die sich auf ein würdiges Andenken gefreut hatten, besonders enttäuschend.
Trotz Kritik: Einblicke in die Welt eines Musikgenies
Trotz der genannten Schwächen lohnt es sich, meiner Meinung nach, beide Filme anzusehen. „Avicii: Ich heiße Tim“ (2025) bietet einen bewegenden Einblick in die Persönlichkeit hinter dem Künstler Avicii und seine Herausforderungen in einer hart umkämpften Branche. „Avicii: Mein Letztes Konzert“ (2025) mag zwar nicht vollständig sein, doch es enthält einige denkwürdige Momente, die die Magie von Aviciis Musik und seine Verbindung zu seinen Fans einfangen.
Für DJs, Produzenten und Musikliebhaber bieten beide Filme meiner Meinung nach wertvolle Lektionen über die Schattenseiten des Erfolgs und die Notwendigkeit, auf die eigene mentale und körperliche Gesundheit zu achten. Sie sind ein Weckruf für die Branche, sich mit den oft ignorierten Belastungen von Künstlern auseinanderzusetzen.
Netflix-Links zu den Filmen
Fazit: Ein Muss für Musikfans – mit Abstrichen
„Avicii: Ich heiße Tim“ (2025) wirkt teils geschönt, und „Avicii: Mein Letztes Konzert“ (2025)enttäuscht durch unnötige Kürzungen, das Fehlen vieler Songs, die größtenteils sehr schlechte Audioqualität und eine hektische, mutmaßlich zusammenhangslose Präsentation. Für alle, die Aviciis Leben, Musik und die Herausforderungen des Künstlerdaseins besser verstehen möchten, sind diese Werke eine lohnenswerte Ergänzung – auch wenn sie meiner Ansicht nach nicht die gleiche Ehrlichkeit und Tiefe wie „Avicii: True Stories“ (2017) erreichen.
Text: Robin Richter / Fotos: Universal – Sean Erikson